Abenteuer pur im Nord-Ural
Manpupuner (sprich: Manpupunjór) - ein Wort aus der Sprache des nordrussischen Urvolkes der Mansen. Übersetzung: Kleiner Berg der Götzen.
Ich stieß darauf, nachdem Filmer des WDR in einer Natur-Doku "Wildes Russland" aus der Hubschrauberperspektive 7 sehr markante Felssäulen auf einem kahlen Bergrücken im Nord-Ural zeigten. Genauere Namens- oder Standortsangabe: Fehlanzeige. Also: Recherche im Internet. Schließlich fanden sich die Begriffe "7 strong men" und eben "Manpupuner", gelegen im Nord-Ural. Das Interesse war geweckt!
Die weitere Recherche ergab, dass die Felsgruppe inzwischen in Russland recht bekannt geworden ist. Die 3 Veranstalter Fernsehsender "Rossia", Rundfunksender "Majak" und Zeitung "Istwestia" veranstalteten 2008 eine Umfrage -
mehr als 26 Mio wählten im Internet die "7 Wunder Russlands":
- das Tal der Geysire auf Kamtschatka
- den Baikalsee
- den Elbrus im Kaukasus
- die Säulen Manpupuner in der Republik Komi
- die Basilius-Kathedrale in Moskau
- Petershof bei St. Petersburg
- den Kurganhügel mit Denkmal bei Wolgograd
Den Säulen Manpupuner geht der Ruf voraus, nur äußerst schwierig zu erreichen zu sein.
Ist es zu schaffen, dorthin zu gelangen? Erneute Recherchen nach einer solchen Möglichkeit. Es gibt Anbieter für Hubschrauber-Touren dorthin, nicht ganz billig und ohne Garantie für eine tatsächliche Landemöglichkeit wegen der häufig extremen Wetterbedingungen. Aber viel spannender wäre es sicher, mit eigener Kraft das Plateau zu erreichen.
Schließlich die Agentur "Vertas" in Syktyvkar, der Hauptstadt der Republik Komi: Sie bietet eine Extremtour dorthin an, die es schon logistisch in sich hat: 15 Stunden Bahnfahrt Syktyvkar - Troizko-Petschorsk, 60 km LKW nach Ust-Ilytsch an der Mündung des Ilytsch in die Petschora, 2 Tage lang 200 km Fahrt mit einem Langboot der Komi mit Außenbordmotor den Ilytsch aufwärts im gigantischen Petschora-Ilytsch-Naturschutzgebiet, weitab von jeglichen menschlichen Ansiedlungen - ausgenommen die 3 Naturschutz-Rangerstationen, hier Kordon genannt. Und dann das Härteste: 38 km zu Fuß in Gummistiefeln mit vollem Gepäck durch urwaldähnliche Taiga mit Windbruch, Sümpfen, Moskitos … Und schließlich das Ganze wieder retour!
Kurz gesagt: Ich war bereit, das Risiko einzugehen, nahm per e-Mail Verbindung auf, wurde auf die zu erwartenden Schwierigkeiten hingewiesen und schließlich sehr gut bei der Organisation unterstützt. Weil meine Freunde für eine solche Tour nicht zu begeistern waren, plante ich für mich allein für die Zeit vom 09.07.-22.07.2012. Ich buchte die Flüge Dresden-Moskau und zurück. Die restliche Organisation der Flüge, Hotelübernachtungen, Transfers, Stadtbesichtigung in Syktyvkar, Bahnfahrten … - alles wurde von "Vertas" perfekt vorbereitet.
So traf ich schließlich in Troizko-Petschorsk (an einem Freitag, dem 13.!!!) mit den 5 russischen Mitgliedern der Gruppe zusammen: Julia, aus Troizko-Petschorsk und für die Organisation zuständig, Ljuda, eine Angestellte bei der Administration in Troizko-Petschorsk, Nina, eine Lehrerin aus Syktyvkar, Igor, ein Armeeangehöriger aus Syktyvkar, und Andrej, ein Medizinstudent aus Troizko-Petschorsk. Es war eine ausgesprochen lustige, freundliche Truppe. Wir verstanden uns von Beginn an richtig gut. Hinzu kam noch unser großartiger Guide und Alleskönner Mischa, der zugleich auch unser Bootsführer bei der Flussfahrt war. Die jungen Leute waren voller Energie und Tatkraft und unterstützten Nina und mich als Vertreter der älteren Generation geradezu rührend. So weihte mich Igor auch in die Rituale einer echt russischen Banja ein.
Schon die Flussfahrt wurde zu einem großartigen Erlebnis. Ich hatte natürlich schon über die ganz anderen Dimensionen in diesen riesigen Waldgebieten gelesen, aber das tatsächlich am eigenen Leib zu spüren, ist ein ganz neues Gefühl. Da fährt man ein paar Stunden mit dem Boot, schläft mal für ein Stündchen ein, aber wenn man wieder munter wird, sieht alles noch genauso aus. Und das für 8 Stunden an beiden Tagen und auf einem Fluss, dessen Namen bei uns keiner kennt! Unterwegs gehen die Fische für die abendliche Fischsuppe Ucha, gekocht auf offenem Feuer mit Wasser aus dem absolut sauberen Fluss, binnen kurzem fast von selbst an die Angeln der 3 Jungs.
Bei einer der markanten Felsgruppen am Ufer machten wir einen Zwischenstopp, wie immer mit Tee und Picknick, vor allem aber mit einem schweißtreibenden Aufstieg zu einer der Felsspitzen mit imposanter Aussicht auf den Fluss.
Nachdem wir bereits an den ersten beiden Kordonen mit den schwierigen Namen Ispyred und Scheschymdikost kurze Zwischenstopps mit Kontrolle unserer Genehmigung der Verwaltung des Naturschutzgebietes eingelegt hatten (natürlich wieder mit Tee und Picknick), erreichen wir am späten Samstagnachmittag schließlich den 3. Kordon Ust-Ljaga, den Ausgangspunkt für den alles entscheidenden Teil unserer Tour.
Am frühen Sonntagmorgen war alles gepackt für den bevorstehenden 38-km-Fußmarsch zum Plateau mit den Säulen. Aber dann das:
Hiobs-Botschaft vom Ranger: Waldbrand auf dem Plateau, Aufstieg gesperrt!!!
Was tun? Da ist nichts zu machen, die Natur ist eben stärker. Also abwarten, erholen, baden. Dann ein Ausflug per Boot auf dem sonst eigentlich gesperrten, flussaufwärts gelegenen Teil des Ilytsch zu den Tataren-Felsen mit Erkundung einer Höhle.
Am Abend - die Damen waren in der Banja - plötzlich die erlösende Nachricht: Wir dürfen los, aber noch ohne Garantie, ob wir auch auf das Plateau aufsteigen können.
In einer halben Stunde waren wir bereit, und auf ging es zum Marsch durch die nächtliche Taiga. Zum Glück war ja noch die Zeit der weißen Nächte, so dass wir auch ohne Lampen auskamen. Märchenwald in allen Variationen. So viele Pilze, vor allem Rotkappen, direkt am Pfad!!! Dann ein echter Sumpf, schnellen Schrittes zu überwinden, schwankend wie auf einem Trampolin! Unterwegs Exkremente von Elchen, Spuren von Bären, rasch davonfliegende Auerhenne! Leider alles im Halbdunklen.
Zur ersten Zwischenstation bei km 20 gelangen wir früh gegen 05:30 Uhr und stellen unsere Zelte am vorbereiteten Lagerplatz direkt am Fluss auf. Von seinem Steilufer hatten wir in der Ferne das 1. Mal unser Ziel sehen können. Schlimm war, dass sich bei fast allen die ersten Blasen an den Füßen eingestellt hatten. Wir pflasterten fleißig, aßen und tranken, bevor wir uns zum Schlafen zurückzogen.
Gegen Nachmittag ging es wieder weiter, immer an einem Flüsschen entlang. Der Pfad wurde noch komplizierter, überall Fußangeln, Wurzeln, Sumpflöcher… Bei mir ging es langsam an die Substanz, und ich bewunderte die Ausdauer und noch immer fröhliche Stimmung der anderen. Ganz schlimm wurde es schließlich auf dem letzten Stück, einem blockigen Steilhang empor zum Plateau.
Guide Mischa half mir tatkräftig. Es war inzwischen schon wieder ziemlich dunkel geworden. Und schließlich tauchten sie auf, die imposanten Felsfiguren der Bolwany, wie sie hier allgemein genannt wurden! Vorbei an der ganzen Kette der Säulen ging es noch zum anderen Ende des Plateaus, wo es seit einiger Zeit ein kleines Ranger-Haus gibt. Hier konnten wir endlich übernachten.
Am nächsten Morgen wurde uns erst richtig bewusst, wie nahe das Feuer an das Haus herangekommen war. Die noch hier weilenden Firefighter (russ.: Poscharniki), die vom Fluzeug per Fallschirm abgesetzt worden waren, hatten es gerade noch retten können.
Nach der Fototour rund um die Säulen nahm ein Gerücht immer mehr Kontur an: Möglicherweise kann ein Teil von uns mit dem Hubschrauber zurück, der die Poscharniki und ihr Material wieder abholen soll. Nach ein paar Anrufen per Satelliten-Telefon wurde bestätigt - Nina und ich hatten großes Glück: Rücktransport mit dem Hubschrauber! Wie sich da meine Blasen freuten ;-)
In 15 Minuten waren wir zurück, wofür wir sonst 24 Stunden gebraucht hätten. Am nächsten Tag bereiteten wir 2 dann liebevoll alles für den Empfang der übrigen 5 vor, die ja noch die im Lager am Fluss zurückgelassenen Zelte bergen mussten. Wir kochten Suppe und Tee am Lagerfeuer, hackten Holz, machten die Banja startbereit, belegten Wurstschnittchen mit ihren Initialen aus Möhrenstreifen …
Als sie dann nachmittags endlich erschöpft ankamen, wollten sie nur trinken, trinken, Banja, trinken und ausruhen. Über den Großteil unserer Suppe freuten sich dann die Fische im Fluss.
Am nächsten Morgen ging es dann den ganzen Tag flussabwärts zurück in die Zivilisation. Mischa hatte das Boot für uns mit Komfort-Liegeplätzen ausgerüstet, und die meisten verschliefen dann auch fast die ganze Fahrt. Mischas Frau verwöhnte uns schließlich nochmals mit einem schmackhaften Menü in ihrem gastfreundlichen Haus im Komi-Dorf Jeremejewo.
Alles in allem kann ich nachträglich nur feststellen:
Es war ein tolles Erlebnis, aber ich hatte auch unheimlich viel Glück bei dieser Tour - es hätte auch sehr viel schief gehen können!
Ich erlebte jedoch:
- tolle Landschaft, spannende Abenteuer
- eine Super-Truppe, mit der unterwegs zu sein viel Spaß gemacht hat
- einen unwahrscheinlich kompetenten Guide
- keine körperlichen Schäden außer ein paar Blasen
- ideales Wetter über die ganze Zeit
- relativ geringe Insektenplage
- gut funktionierende Verständigung mit meinen Russisch-Kenntnissen
Falls jemand Lust auf eine solche Tour hat:
- besser in einer deutschen Gruppe
- ca. 6-8 Teilnehmern + Guide + evtl. Dolmetscher
- Organisation durch Tour-Agentur "Vertas"
- statt Zeitdruck bei 7-Tage-Tour besser 10 Tage